Polizei besser machen: Beschwerdestelle und Antidiskriminierungsgesetz

Immer wieder kommt die Debatte über die Rolle der Polizei in unserer Gesellschaft auf. Der Mord an George Floyd durch Polizisten in Minneapolis, USA hat diese erneut in die breite Öffentlichkeit getragen. Und auch in Deutschland wurden zuletzt zahlreiche rechte Strukturen und Chatgruppen mit rechtsextremistischen Inhalten bei deutschen Behörden, wie der Polizei Essen, Mülheim und Berlin sowie beim Verfassungsschutz NRW aufgedeckt. Die Liste der Opfer von rassistisch motivierter Polizeigewalt ist auch in Deutschland zu lang. Wir denken dabei an Christy Schwundeck, die 2011 von der Polizei im Jobcenter erschossen wurde. Wir denken an William Tonou-Mbobda, der 2019 den Verletzungen von „Zwangsmaßnahmen“ der Security der Hamburger Klink erlag. Sein Mord wurde nie polizeilich aufgeklärt. Wir denken an Rooble Warsame, der 2019 zwei Stunden nach seiner Verhaftung tot in seiner Polizeizelle gefunden wurde. Auch sein Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Die Liste könnte lange weitergeführt werden. Es ist daher unumgänglich zu dem Schluss zu kommen, dass wir ein strukturelles Rassismusproblem bei der deutschen Polizei haben. Schon lange fordern wir deshalb eine bessere Kontrolle unserer Polizei und damit eine Möglichkeit für Betroffene Gerechtigkeit zu erfahren. Dazu möchten wir den Betroffenen zum einen eine unabhängige Beschwerdestelle und zum anderen ein Landesantidiskriminierungsgesetz an die Hand geben.

Alle Polizist*innen sind beobachtungswert

Die Diskussion über eine externe Kontrolle der Polizei führen wir Jusos schon lange. Migrantisch gelesene Menschen werden besonders oft Opfer von rassistisch motivierter Polizeigewalt. Dies ist längst kein Geheimnis mehr: Der strukturelle Rassismus, der unsere Gesellschaft durchdringt, findet sich offensichtlich auch in der Polizei wieder. Der Beruf der*des Polizeibeamt*in wird allgemeinhin mit Autorität und Machtausübung verknüpft. Diese Strukturen und das daraus resultierende polizeiliche Umfeld können daher rechtswidrige und rassistische Polizeigewalt in besonderem Maße befördern.  Dieses Problem muss endlich klar angesprochen und darf nicht verleugnet werden! Die Polizei sollte eine staatliche Institution sein, die Menschenrechte bewahrt und schützt. Stattdessen haben wir oftmals eine Institution, die durch ihr diskriminierendes und willkürliches Vorgehen genau das Gegenteil tut. Die Problemfelder sind leicht zu benennen: willkürliche Polizeigewalt, racial profiling und ungehemmte rechte Strukturen innerhalb der Polizei. Dies ist nicht – wie oft behauptet – eine unbegründete Kritik der  politischen Linken, sondern ein wissenschaftlich erforschtes reales Problem. Dieses muss endlich gelöst werden. Symbolpolitik und ein unkritischer Schulterschluss mit der Polizei, verstärken dieses Problem noch. Die Polizei als Teil der Exekutive muss stetig kontrolliert und evaluiert werden, um die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren und eine solidarische Gesellschaft zu ermöglichen. Nach dem aufgedeckten Netzwerk im Polizeipräsidium in Essen bewegte sich der CDU-Innenminister auch mal dazu, davon zu sprechen, dass es sich nicht um Einzelfälle handle. Für viele Menschen, die sich schon länger dieses Thema verfolgen keine überraschende Erkenntnis, dennoch ist ein Sonderbeauftragter für rechtsextremistische Tendenzen ein erster Schritt in die richtige Richtung, wenn auch längst überfällig und lange gefordert. Wir werden diese Arbeit kritisch begleiten und erwarten eine umfassende Aufarbeitung der Vorfälle und der rechten Netzwerke. Wir bestärken zudem weiterhin unsere Forderung einer internen Studie zu Rassismus, die durch Seehofer weiterhin blockiert wird.

Who watches the Watchmen?

Aktuell kann in Fällen von rechtswidriger Polizeigewalt lediglich der*die einzelne*r Polizist*in angezeigt werden. Hinzu kommt: Durch die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht wurde dies weiter erschwert. Faktoren wie zum Beispiel Viktimisierungserfahrungen und Einschüchterungen durch Gegenanzeigen von Polizist*innen sind weitere Hemmnisse. Wird doch mal eine Anzeige gestellt, wird in den seltensten Fällen Anklage erhoben. Dies zeigt auch eine Studie der Ruhr-Universität Bochum: In Verfahren wegen körperlicher Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen wird lediglich in 6 % aller Fälle eine Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt. Davon werden wiederum 86 % der Fälle eingestellt.

Auch der Korpsgeist innerhalb der Polizei sorgt dafür, dass von Anzeigen abgeraten wird, Betroffene eingeschüchtert werden und Kolleg*innen nicht gegeneinander aussagen. Der*die Betroffene müssen alleine in die Konfrontation mit dem gesamten Polizeiapparat gehen. Zudem werden die von Polizist*innen im Amt begangenen Straftaten durch Polizist*innen aufgenommen und aufgeklärt. Dies ist eine paradoxe Situation und behindert eine neutrale Aufklärung.

Wir brauchen eine unabhängige und externe Beschwerdestelle, damit die Rechtsstaatlichkeit bewahrt werden kann. Eine solche Beschwerdestelle soll als Anlaufstelle für Betroffene von rechtswidriger Polizeigewalt und als effektive Kontrollinstanz dienen. Die in der Polizei vorherrschenden Dynamiken können so aufgebrochen werden. Ein vergleichbares Modell gibt es bereits in Rheinland-Pfalz. Angelehnt daran fordern wir eine Beschwerdestelle in NRW und in allen weiteren Bundesländern sowie für die Bundespolizei. Nur so können wir das Vertrauen der Menschen in die Polizei stärken. Wir stellen die Polizei damit ausdrücklich nicht unter Generalverdacht, sondern wollen sie der nötigen rechtsstaatlichen Kontrolle unterziehen. So werden auch die Polizist*innen gestärkt, die sich polizeiintern gegen rassistische und rechtswidrige Strukturen einsetzen.

Umfang der Beschwerdestelle in Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist die unabhängige Beschwerdestelle historisch gewachsen und hat ihren Ursprung in der*des Bürgerbeauftragte*n. Diese*r hat inzwischen erweiterte Kompetenzen: Dazu zählt als Landespolizeibeauftragte*r die Aufklärung rechtswidriger Polizeigewalt. Der*die Beauftragte ist gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet und wird vom Landtag für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt. Die zuständige Person darf nicht der Regierung angehören oder in einer staatlichen Stelle beschäftigt sein. Auch andere berufliche Tätigkeit oder ein Sitz in einem Aufsichtsrat können während der Amtszeit nicht ausgeübt werden. Dies soll eine gewisse Unabhängigkeit garantieren. Zudem ist es in Rheinland-Pfalz so geregelt, dass der*die Beauftragte nicht in andere Verfahren wie z. B. laufende Gerichtsverfahren eingreift.

Im Falle einer möglichen Rechtsverletzung prüft der*die Beauftragte den Fall und kann zur Aufklärung u. a. Auskunft von fachlich zuständigen Minister*innen verlangen. Ziel ist grundsätzlich auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken und bei rechtswidrigem polizeilichen Verhalten das Innenministerium zu informieren. Der*die Beschwerdeführer*in hat nach §23 BürgBG RP zudem die Möglichkeit ein Disziplinar-/Strafverfahren einzuleiten. Eine weitere Aufgabe der*s Landespolizeibeauftragten ist es dem Landtag jährlich Bericht zu erstatten und bei besonderen Fällen unverzüglich den Innenausschuss zu informieren, § 24 BürgBG RP.

Unser Konzept für eine unabhängige Beschwerdestelle 

Auch in Nordrhein-Westfalen möchten wir eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten. Anders als in Rheinland-Pfalz fordern wir eine*n Landespolizeibeauftrage*n, die*der abgekoppelt von anderen Tätigkeiten ausschließlich für die Aufklärung von rechtswidriger Polizeigewalt zuständig ist und als Anlaufstelle für Betroffene sowie für Polizist*innen, die bei ihren Kolleg*innen rechtswidriges Handeln bemerken, dient. Wir unterstützen ausdrücklich, dass der*die Landespolizeibeauftrage gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und vom Landtag für eine Amtszeit von 8 Jahren gewählt wird. Es ist entscheidend, dass der*die Landespolizeibeauftrage keiner Regierung, staatlichen Stelle oder dem Aufsichtsrat eines Unternehmens angehört oder einen anderen Beruf ausübt, um Unabhängigkeit zu gewährleisten. Für die schnelle Aufklärung verlangen wir, dass der*die Landesbeauftragte*r das notwendige Personal bekommt, auf dessen Unabhängigkeit auch zu achten ist. Im Gegensatz zur Regelung in Rheinland-Pfalz fordern wir eine zwingende Ermittlungspflicht bei abgeschlossenen Verfahren und eine Verlängerung der Dreimonatsfrist auf eine Jahresfrist. Zudem wollen wir die Befugnisse im Vergleich zu Rheinland-Pfalz deutlich ausweiten — das umfasst z. B. Akteneinsicht, Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen und das Recht auf mündliche und schriftliche Auskunft von Personen und Institutionen des öffentlichen Rechts. So geben wir der*dem Landespolizeibeauftragen das notwendige Werkzeug an die Hand. Zusätzlich erachten wir die Möglichkeit ein Disziplinar-/Strafverfahren einzuleiten, als ein wichtiges Instrument, um Opfer zu entlasten. Der*die Landespolizeibeauftragte soll auch Vertrauensperson für die vielen Polizist*innen sein, die sich gegen Korpsgeist und ungerechtfertigte Polizeiaktionen wenden wollen. Ohne Disziplinarverfahren fürchten zu müssen, sollen diese sich an den*die Polizeibeauftragte*n wenden können. Abschließend fordern wir, dass über die jährlichen Berichterstattungen hinaus eine Anbindung an den Landtag und dessen Gremien, durch ein Anwesenheits- und Rederecht des*der Landespolizeibeauftragten, sichergestellt wird. Zudem soll der*die Landespolizeibeauftragte ein weitreichendes Rederecht bekommen, um die Mitwirkung und Rückkopplung zu gewährleisten. All diese Forderungen sehen wir als ersten Aufschlag für eine effektive unabhängige Beschwerdestelle in Nordrhein-Westfalen.

Zusammenfassend fordern wir: 

  • ein grundsätzliches Eingeständnis, dass es Probleme innerhalb der Polizei gibt und ein kritisch-solidarisches Verhältnis zur Polizei als staatliche Institution,
  • die Wiedereinführung der Kennzeichnungspflicht,
  • die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdestelle in Form einer*eines Landespolizeibeauftragten mit weitreichenden Rechten und Befugnissen.

Wenn der Staat diskriminiert

Ob in Jugendämtern, im Jobcenter oder im Umgang mit der Polizei: Gewalt und Diskriminierung in staatlichen Einrichtungen gehören für viele Menschen zum Alltag. Die in diesem Zusammenhang gemachten Diskriminierungserfahrungen reichen von Ungleichbehandlungen bei Behördengängen, der erhöhten Wahrscheinlichkeit von der Polizei unter Generalverdacht gestellt und kontrolliert zu werden oder gar Gewalterfahrungen auf Demonstrationen.

Die Entrüstungen und die Trauer über den Tod von George Floyd im Frühjahr 2020 haben die Menschen weltweit auf die Straßen gebracht, nun müssen Taten und Veränderungen folgen. Denn es geht bei Polizeigewalt oder Diskriminierung bei Behördengängen nicht um persönliche Meinungen und Ausnahmen, Rassismus ist ein strukturelles Problem, dies hat nicht zuletzt die Stuttgarter Polizei bewiesen, indem sie sogenannte Stammbaumforschung betrieben. Der Wunsch von Menschen nach Schutz vor Diskriminierung muss ernst genommen werden.

Das Land Berlin hat sich diesem Problem angenommen und im Juni 2020 ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) erlassen. Es soll vor Willkür schützen und hat vor allem die Änderung der Beweisführung zugunsten diskriminierter Menschen zum Ziel. Das ist auch bitter nötig, sehen doch zurzeit die Erfolgsquoten bei gerichtlichem Vorgehen von Betroffenen sehr gering aus. Wir wollen das NRW dem Berliner Vorbild folgt und ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) erlässt. Unser Anspruch ist, dass dieses Gesetz jegliche Form der Diskriminierung abdeckt und dazu beiträgt Fehlverhalten in staatlichen Institutionen und Behörden konsequent zu ahnden. Wir wollen, dass die Betroffenen Gerechtigkeit bekommen!

Ein Antidiskriminierungsgesetz für NRW!

Diskriminierung bezeichnet die Herabwürdigung, Belästigung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen aufgrund von Zuschreibungen, Wertvorstellungen, Einstellungen, Vorurteilen oder emotionalen Assoziationen. Darunter fallen die Merkmale oder Zuschreibungen wie das Geschlecht, die sexuelle Identität, die geschlechtliche Identität, ethnische Herkunft, rassistische Zuschreibungen, antisemitische Zuschreibungen, Sprache, Religion, die Weltanschauung, eine Behinderung, eine chronische Krankheit, das Lebensalter, soziale Herkunft oder auch der ökonomische Status und jede sich daraus ergebende intersektionale Diskriminierung. Als diskriminierende Handlungen können etwa Beleidigungen, Belästigungen oder Gewaltausübung gelten.

Der Fokus eines Antidiskriminierungsgesetzes nach dem Berliner Vorbild liegt auf diskriminierenden Handlungen und Äußerungen, die von öffentlicher Stelle ausgehen. Mit einem solchen Gesetz werden nicht nur eindeutige Merkmale und Zuschreibungen definiert, auf die eine diskriminierende Handlung abzielen kann. Vielmehr werden den Betroffenen Mittel an die Hand gegeben, um sich nach solchen Erfahrungen juristisch zur Wehr zu setzen. Ein solches Antidiskriminierungsgesetz zielt explizit auch auf diskriminierende Handlungen durch die Polizei. Dabei kann es etwa um Gewalterfahrungen auf Demonstrationen oder Ungleichbehandlungen in Kontrollsituationen gehen. Denn bisher fehlt ein gesetzlicher Diskriminierungsschutz gegenüber dem öffentlich-rechtlichem Handeln, was vor allem in dem Zusammenhang problematisch ist, dass eine Anzeige gegen die Polizei in den meisten Fällen zu einer Gegenanzeige führt, um das widerrechtliche Handeln im Nachhinein rechtfertigen zu wollen.

Wir fordern ein Antidiskriminierungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen! Wer von staatlichen Institutionen, öffentlichen Stellen oder Behörden des Landes NRW sowie den kommunalen Behörden diskriminiert wird, soll sich auf das ADG berufen und auf Entschädigung klagen können. Diese Entschädigung soll auf 300 bis 1000 Euro beziffert werden. In besonders schweren Fällen soll auch eine höhere Entschädigung möglich sein. Bei wiederholten Fällen einer*eines Täter*in muss eine Entfernung aus dem Dienst folgen. Die Entschädigungen werden vom Land NRW bezahlt. Das trifft auch zu, wenn etwa Polizist*innen aus einem anderen Bundesland bei einer Demonstration Amtshilfe leisten und straffällig im Sinne des ADGs werden. Sowohl Einzelpersonen als auch Betroffenenverbände und -organisationen sollen gemäß des ADG klagen können.

Als wesentlichen Bestandteil des Antidiskriminierungsgesetzes in NRW begreifen wir das Konzept der Beweiserleichterung. Die von der Diskriminierung betroffene Person muss im Prozess Tatsachen glaubhaft machen, die einen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz überwiegend wahrscheinlich machen. Nach richterlicher Überzeugung muss das Vorliegen einer Diskriminierung wahrscheinlicher sein als das Nichtvorliegen. Es muss also mehr für die Diskriminierung sprechen als dagegen. Wenn diese Glaubhaftmachung gelingt, folgt eine Umkehrung der Beweislast, sodass die öffentliche Stelle das Nichtvorliegen einer Diskriminierung beweisen muss. Durch eine solche Vermutungsreglung lässt sich das asymmetrische Verhältnis zwischen staatlichen Stellen und den Betroffenen von Diskriminierung ansatzweise ausgleichen.

Zusammenfassend fordern wir:

  • Ein Antidiskriminierungsgesetz für NRW nach Berliner Vorbild
  • Dieses Gesetz soll eindeutige Merkmale und Zuschreibungen definieren, die einer diskriminierenden Handlung zu Grunde liegen
  • Das Gesetz muss das Prinzip der Beweiserleichterung beinhalten, um dem asymmetrischen Verhältnis zwischen staatlichen Stellen und den Betroffenen von Diskriminierung entgegen zu wirken