Stärkung des Rechts auf (Wieder-)Einbürgerung von Verfolgten des NS-Regimes und ihrer Nachkommen

„No Border – No Nation!“ Als Jungsozialist*innen haben wir zu Recht den Anspruch, dass dieser bekannte Demospruch Realität wird, wenn es um Migration, Aufenthaltsrechte und Einbürgerung geht. Wie weit wir aber davon noch entfernt sind, selbst in Fällen wo der politische Konsens relativ groß sein sollte, zeigt die Geschichte und die darauf fußende aktuelle Debatte über die (Wieder-)Einbürgerung der Verfolgten des NS-Regimes. Über Jahrzehnte scheiterten Anträge an den rigiden Auflagen deutscher Verwaltungen und es wurde dadurch besonders verfolgten Jüd*innen und ihren Nachkommen enorm erschwert, die deutsche Staatsangehörigkeit (wieder) zu erlangen. Dieses Mindestmaß an Wiedergutmachung wurde nach 1945 also gerade den Menschen, die dem deutschen Vernichtungsapparat oft nur knapp entkommen konnten, gar nicht oder nur entgegen größter Widerstände und Hürden zuerkannt.
Neu aufgekommen ist die Debatte über die Probleme für die NS-Verfolgten und ihrer Nachkommen beim (Wieder-)Erhalt der deutschen Staatsbürger*innenschaft im Zuge des Brexits. Einige Nachfahren der in das Vereinigte Königreich geflohenen Jüd*innen wollten angesichts des drohenden EU-Austritts die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Dabei traten die bestehenden Hürden einmal mehr zum Vorschein, sodass nun auch deutsche Politiker*innen handeln wollen.
Im Folgenden soll nun das Problem sowie seine Geschichte näher beschrieben und der für uns Jungsozialist*innen richtige Lösungsansatz, der den Opfern der Nationalsozialist*innen gerecht wird, definiert werden.
Wie kam es zum Verlust der Staatsbürger*innenschaft und was erschwert die (Wieder-)Einbürgerungen?
Die Nationalsozialist*innen nutzten schon ab 1933 die Möglichkeit der Ausbürgerung um politische Gegner*innen in der Emigration zu behindern und sich ihr Vermögen anzueignen. Hierzu erließen sie am 14. April 1933 das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“. Dieses ermöglichte es Menschen, die nach der Novemberrevolution eingebürgert wurden, die sich gerade im Ausland aufhielten, die „gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstießen oder die einer Aufforderung zur Rückkehr nicht nachkamen, die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Damit einher ging auch die Möglichkeit zur Beschlagnahmung des Vermögens der Ausgebürgerten, welches spätestens nach zwei Jahren an das NS-Regime fiel. Insgesamt wurden 359 Ausbürgerungslisten auf Grundlage dieses Gesetzes erlassen.
In den folgenden Jahren der NS-Herrschaft wurde der Entzug der Staatsbürger*innenschaft auch Teil der systematischen Verfolgung und Ermordung deutscher Jüd*innen und der Aneignung ihres Vermögens. So reichte für jüdische Menschen schon das Verlassen des deutschen Staatsgebietes aus, um Gefahr zu laufen ihre Staatsangehörigkeit zu verlieren, da sie hiermit laut Rechtsauslegung der Nationalsozialist*innen bereits „gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstoßen hätten.
Mit der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz aus dem Jahre 1941 erfolgte dann eine Massenausbürgerung jüdischer Menschen, die das Staatsgebiet verließen, unabhängig ob sie ins Ausland geflohen oder von den Nationalsozialist*innen deportiert worden waren. Ihr Vermögen enteignete der NS-Staat.
Das hier geschehene Unrecht gegenüber politischen Oppositionellen in der Emigration und Jüdinnen* und Juden* in der Verfolgung und Deportation sollte zumindest hinsichtlich des Verlustes der Staatsbürger*innenschaft bereits mit dem neuen Grundgesetz anerkannt werden. Maßgeblich hierfür ist der Artikel 116, welcher den Betroffenen ein Recht auf Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zuspricht:
„Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern […]“ –Art.116 GG (2)
Die verständliche Annahme, dass mit diesem Grundgesetzartikel für alle Verfolgten des NS-Regimes und ihre Nachkommen die (Wieder-)Einbürgerung gesichert wurde, ist allerdings falsch. Viele Gruppen, die durch den deutschen Faschismus ihre Staatsbürger*innenschaft verloren haben, sowie deren Nachfahren sind bis heute nicht rechtlich abgesichert, was den (Wieder-)Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit betrifft.
Schwierig ist dies z.B. für diejenigen, die in der Emigration eine neue Staatsangehörigkeit angenommen haben, bevor ihnen die deutsche von den Nationalsozialist*innen offiziell entzogen wurde. Ein solcher Nationalitätswechsel kann, ungeachtet aller Umstände von drohender oder bereits erfolgender Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung im NS-Staat, als „freiwillig“ eingestuft werden und gefährdet eine Einbürgerung des*der Betroffenen oder ihrer*seiner Nachkommen.
Gerade für die „Abkömmlinge“, wie es das Grundgesetz formuliert, von Jüd*innen und anderen im Nationalsozialismus Verfolgten ist die Situation komplex bis unüberschaubar. Denn wer nun als Nachkomme unter den Begriff „Abkömmling“ fällt, ist Sache des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes. Dieses beruht allerdings noch auf dem „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz“ von 1913 und hat in der Bundesrepublik einige Veränderungen durch Rechtsprechung und Gesetzgebung erfahren. So erfolgte die Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit z.B. zunächst nur über den Vater und erst später auch durch die Mutter oderuneheliche Elternteile. Relevant wird dies für die Nachkommen von Verfolgten des NS-Regimes dadurch, dass nach einer Zeit eher liberaler Einbürgerungspraxis für die potentiell von Artikel 116 betroffenen, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes 1983 entschieden hat, dass die Personen oder ihre Vorfahren zum Zeitpunkt ihrer Geburt einen Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt hätten müssten.
Da nun einige der oben angesprochenen Änderungen der Weitergabe der Staatsbürger*innenschaft nicht oder nur bis zu gewissen Stichtagen rückwirkend greifen, kann dies zum Ausschluss von Nachkommen führen. Ein mögliches Beispiel dafür wären die Kinder von Jüdinnen, die in der Emigration einen Mann anderer Staatsangehörigkeit geheiratet haben und vor dem 1. April 1953 Mutter wurden. Diese Kinder und ihre Nachfahren haben nach aktueller Praxis des Staatsangehörigkeitsrechts keinen festen Anspruch auf eine Einbürgerung, trotz der Verfolgung ihrer Vorfahren durch Nazi-Deutschland.
Es bleibt zusammenzufassen, dass der Anspruch auf (Wieder-)Einbürgerung, den das Grundgesetz in groben Zügen formuliert, bis heute noch nicht vollkommen realisiert wurde. Gerade auch, da bisher eine klare politische Antwort auf das Problem vermieden und stattdessen auf eine Lösung durch eine Revision oder Neuauslegung durch die Gerichtsbarkeit gehofft wurde.
Wenn aktuell Jüd*innen oder andere Verfolgte des NS-Regimes und ihrer Nachkommen trotz der oben beschriebenen Hürden und Ausschlusskriterien eingebürgert werden, sind dies zumeist Ermessenseinbürgerungen auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften, die die Bundesregierung erlassen hat.
Wie will die Politik handeln und was muss aus jungsozialistischer Perspektive getan werden?
Genau an dieser Stelle will nun auch die aktuelle Bundesregierung ansetzen, indem sie die Möglichkeiten für Ermessenseinbürgerungen ausweitet, um so möglichst schnell weitere Einbürgerungen zu ermöglichen. Mit eben jener Begründung lehnt sie auch die Vorschläge linker Oppositionsparteien ab, eine Neuregelung über ein Gesetz im Staatsangehörigkeitsrecht zu verankern.
Doch nur eine solche Gesetzeslösung kann unserem jungsozialistischen Anspruch gerecht werden und wird auch von Betroffenen aus der „116er Gruppe“[1] favorisiert. Kein Erlass kann allen rassistisch, politisch oder religiös Verfolgten des NS-Regimes und ihren Nachkommen die Rechtssicherheit geben, die ihnen nach dem Unrecht, dass ihnen oder ihren Familien durch Deutschland widerfahren ist, zusteht. Denn mit einer Ausweitung der Ermessenseinbürgerungen bleibt es eine Sache deutscher Bürokrat*innen über den Erhalt oder Nichterhalt der deutschen Staatsangehörigkeit zu entscheiden – ein Einfallstor für Willkür. Außerdem würde eine gesetzliche Neuregelung den Rechtsweg bei trotzdem erfolgten Ablehnungen durch die geschaffene Eindeutigkeit erleichtern.
– Deshalb fordern wir als Jungsozialist*innen ein Gesetz, welches den Anspruch nationalsozialistisch Verfolgter und deren Nachkommen auf (Wieder-)Einbürgerung im Staatsangehörigkeitsrecht klar verankert und mit all den hier beschriebenen und darüber hinausgehenden Hürden und Ausnahmereglungen Schluss macht. Ein solches Gesetz würde wenigstens ein  Mindestmaß an Gerechtigkeit für die Betroffenen verwirklichen.
– Des Weiteren fordern wir die SPD auf, eine solche Lösung innerhalb der Regierungskoalition zu forcieren oder sich den Vorschlägen der progressiven Oppositionsparteien anzuschließen, sollte ein den oben formulierten Anspruch erfüllender Antrag in den Bundestag eingebracht werden.
Die Anerkennung und Wiedergutmachung gegenüber den Verfolgten des NS-Regimes, gerade den Jüdinnen* und Juden*, ist in der Nachkriegsgeschichte an vielen Stellen nicht erfolgt oder musste von den Opfern des deutschen Faschismus erst selbst mühsam erkämpft werden. Dieser Teil des antifaschistischen Einsatzes ist auch heutzutage bittere Realität.
Lasst uns Jungsozialist*innen weiter Vorkämpfer*innen gegen das bestehende Unrecht sein und für die (Wieder-) Einbürgerung der Verfolgten, als ein Teil der Aufarbeitung und Wiedergutmachung des deutschen Terrors, energisch eintreten.
Alerta!

[1] Die „116er Gruppe“ ist ein Zusammenschluss von britischen Nachfahren geflohener Jüd*innen, die sich aktuell um den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit bemühen und dabei an den bestehenden Hürden scheitern.