WACHSTUM DURCH UMVERTEILUNG – NICHT ANDERSHERUM!

Bisher haben wir Jusos uns zu Wachstum häufig wie folgt positioniert: Wir sind für Wachstum, weil es uns erlaubt im Anschluss leichter umzuverteilen. Bei wachsendem Bruttoinlandsprodukt muss somit niemand absolute Wohlstandsverluste hinnehmen, wenn durch Steuern und Sozialabgaben Einkommen umverteilt wird. Wir haben Fortschritt und Nachhaltigkeit als Leitplanken für ein gutes Leben definiert. Wirtschaftswachstum hat also nur dann einen Sinn, wenn es sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig ist. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit ist nur dann gegeben, wenn soziale und ökologische Folgekosten des Wirtschaftswachstums nicht höher sind als der Gewinn an Wohlstand. Da das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bloß den reinen Zuwachs an produzierten Gütern und Dienstleistungen misst, aber z.B. weder die Verteilung des Wohlstands in der Bevölkerung berücksichtigt noch die beiden Dimensionen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit kennt,setzen wir Jusos uns für neue Indikatoren ein. Diese könnten beispielsweise so aussehen wie das „neue Magische Viereck“, das auf einer Studie von Sebastian Dullien und Till van Treek beruht und auch teilweise schon in der SPD diskutiert wurde. Dabei geht es um die vier Oberziele Materieller Wohlstand und ökonomische Nachhaltigkeit,Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und der Staatsfinanzen, Soziale Nachhaltigkeit und Ökologische Nachhaltigkeit. Zu jedem der vier Oberziele gibt es verschiedene Einzelindikatoren, für die von der Regierung jeweils Ziele formuliert werden müssen. Die Indikatoren dienen dann dazu, die Ergeb­ nisse zu bewerten. Auf einen großen Einzelindikator wird mangels Aussagekraft verzichtet.

DER KAPITALISMUS BEFINDET SICH IN EINER (WACHSTUMS-)KRISE

Betrachtet man allein das Bruttoinlandsprodukt, so stellt man fest, dass sich das Wirtschaftswachs­ tum vor allem der westlichen Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat. Einige Ökonom*innen sehen darin erste Anzeichen für das Ende des Kapitalismus, der auf Wachstum beruht. Der Kapitalismus geht aber immer auch mit sozialer und ökologischer Ausbeutung einher. Viele Ressourcen, z.B. fossile Brennstoffe, werden in absehbarer Zeit aufgebraucht sein. Bis dahin werden wir vermutlich so viel CO2 in die Atmosphäre geblasen haben, dass sich unser Klima um mindestens 2°C erwärmt hat, oder verpesten unsere Umwelt mit radioaktivem Abfall, für den wir noch immer keine geeigneten Endlagerungsmöglichkeiten gefunden haben.Der Kapitalismus beruht auf Ausbeutung von Menschen durch Menschen und geht einher mit Vermögens- und Einkommensungleichheit. Gerade in den letzten drei Jahrzehnten gab es weltweit einen massiven Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheit, mit dem wir in Deutsch­ land erst verhältnismäßig spät konfrontiert wurden. Dennoch besitzt seit 2016 weltweit das reichste 1% satte 50% des gesamten Vermögens, d.h. genauso viel wie die ärmeren 99%. In Deutschland besitzen die reichsten 10% immerhin 61% des Vermögens, während die ärmsten 50% unter dem Strich überhaupt kein Vermögen besitzen. Die ärmsten 10% haben netto sogar Schulden. Bei den Einkommen (nach Steuern und anderen Abgaben!) sieht die Verteilung traditionell nicht ganz so verheerend aus. Dennoch verzeichnen 17 von 22 OECD-Staaten zwischen 1980 und 2008 einen Anstieg des Gini-Koeffizienten, darunter auch Deutschland. Die berühmte Schere geht immer weiter auseinander. Ebenfalls zu beobachten ist, dass die realen Haushaltseinkommen und Löhne in der Zeit seit 1980 quasi nicht oder nur leicht gestiegen sind, während die Produktivität deutlich angewachsen ist.Die Ursachen hierfür liegen zum ersten im technologischen Wandel und dem damit verbundenen Produktivitätswachstum, das viele Jobs vor allem in mittleren und unteren Einkommenssegmenten überflüssig werden ließ. Dies führte im Zusammenspiel mit der Liberalisierung der Arbeitsmärkte zur Erosion gewerkschaftlichen Einflusses. Des Weiteren trug eine neoliberale Finanzpolitik dazu bei, die Einkommensungleichheit zu verschärfen. Fatalerweise geschah dies auch unter sozialde­ mokratischen Regierungen. So beklagen wir immer noch eine zugunsten des Kapitals ungleiche Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen, der Spitzensteuersatz wurde abgesenkt, eine Vermögenssteuer gibt es derzeit nicht und die Erbschaftssteuer ist bei hohen Erben so durchlässig,dass von Chancengerechtigkeit nicht die Rede sein kann.Stagnierende Einkommen in der Mitte und am unteren Ende der Einkommensverteilung und sinkende Steuereinnahmen zogen eine Stagnation Massenkaufkraft und der öffentlichen Investi­ tionen nach sich. Die Folge war in der Bundesrepublik eine Stagnation der inländischen Nachfrage und das anschließende Export-getriebene Wachstumsmodell. Dieses basierte zu einem guten Teil auf stagnierenden Löhnen, die zusammen mit der steigenden Produktivität zu sinkenden Lohn­ stückkosten führten. Ein Spiegelbild dieser Entwicklung in der Eurozone war das Kredit-getriebene Wachstum in Südeu­ ropa, wobei sich in Spanien, Portugal und Irland in erster Linie der private Sektor verschuldete und in Griechenland der staatliche Sektor. Das Kapital hierfür floss vor allem über den Inter-Banken-Handel aus der Bundesrepublik nach Südeuropa.So zeigte sich, dass die gestiegene Einkommensungleichheit die Weltwirtschaft zunehmend destabi­ lisierte. Sowohl das deutsche Modell der stagnierenden Nachfrage bei Exportüberschüssen als auch die Kredit-getriebenen Blasen waren nachhaltig, sodass beide Entwicklungen in die Finanzkrise ab 2008/2009 führten. Die vierte globale Krise des Kapitalismus führte zu Bankenkrisen in Spanien,Portugal und Irland, die riesige Konjunkturpakete erforderten, als auch zu einer Staatsschulden­ krise in Griechenland. Die Konstruktionsfehler der Eurozone überließen diese Länder schutzlos den spekulativen Attacken. So transformierten sich Bankenkrisen in Staatsschuldenkrisen und die Antwort darauf bestand in der desaströsen Austeritätspolitik.Anstatt anzuerkennen, dass sich alle ökonomischen Krisen der letzten Jahre auf die Krise des Kapi­ talismus bzw. den Kapitalismus als solches zurückführen lassen, geht der Mainstream vor allem in Europa von einer Staatsschuldenkrise aus. Dass die Staatsverschuldung vor der weltweiten Banken­ krise auf einem akzeptablen und deutlich geringeren Niveau war als heute und die Finanzkrise durch Bankenrettungsprogramme und Konjunkturpakete Ursache für die abrupt gestiegenen Staatsschul­ den war, wird nicht erkannt oder größtenteils verschwiegen.Diese falsche Analyse führte dann logischerweise zu den falschen wirtschaftspolitischen Konse­ quenzen. Anstatt nach keynesianischem Vorbild antizyklisch zu investieren, wurden die hohen Staatsschulden als größtes Übel ausgemacht mit dem Ziel diese durch rigide Kürzungs- und Auste­ ritätspolitik zu senken, um so neues Wachstum zu generieren. Gleichlautenden Studien wie etwa „Growth in a time of debt“ von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff wurden methodische Fehler nachgewiesen und werden heute von angesehenen Ökonom*innen als falsch angesehen. Lediglich die neoliberalen Hardliner á la Wolfgang Schäuble benutzen noch diese falschen Argumentations­ ketten und beharren auf der Austeritätspolitik als Allheilmittel auf dem Weg aus der Krise.Eine weitere grundfalsche Idee, die allerdings unbewusst über einen großen Rückhalt in der Bevöl­ kerung verfügt, nennt sich Trickle-Down Theorie. Diese behauptet, dass Umverteilung von unten nach oben am Ende allen Menschen in unserer Wirtschaft nutzen würde. Argumentiert wird von Befürworter*innen dieser Theorie, dass höhere Ungleichheit zu Wirtschaftswachstum führt, was dann in der Konsequenz bedeutet, dass alle Menschen absolut besser als vorher gestellt sind, auch wenn sie einen relativ kleineren Anteil am Gesamteinkommen haben. Umgekehrt betrachtet, gibt es auch oft die Behauptung, dass man Reiche nicht stärker (insbesondere durch eine Vermögenssteuer) besteuern darf, weil sonst Arbeitsplätze verloren gehen. Diese Idee wirkt nicht nur auf den ersten Blick absurd, sie lässt sich auch bei näherem Hinsehen widerlegen bzw. ins Gegenteil umkehren. So sagt beispielsweise die OECD-Studie „Trends in Income Inequality and ist Impact on Economic Growth“ von Federico Cingano aus dem Jahr 2014 das genaue Gegenteil. Deutschland hat durch die gravierende Einkommensungleichheit seit den 1980er Jahren 6% Wirtschaftswachstum verlo­ ren. Dennoch findet man aktuell einige Beispiele wie die Griechenland- bzw. Bankenrettung, das Quantitative-Easing-Programm der Europäischen Zentralbank oder mit etwas Fantasie auch TTIP und CETA, die alle auf dem Irrglauben der Trickle-Down Theorie begründet sind.Am Beispiel der Austeritätspolitik und der Trickle-Down Theorie wird deutlich: Eines der Proble­ me des Kapitalismus ist, dass die größte Gefahr für den Kapitalismus derzeit von Kapitalist*innen ausgeht. Uns könnte es recht sein, wenn der Kapitalismus sich am Ende selbst zugrunde richtet.Dennoch liegt es in unserem Interesse, die wirtschaftlich Schwachen vor noch höherem Schaden zu beschützen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR EINE SOZIALISTISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK

Wirtschaft muss für uns Jusos im Zentrum unserer Analysen stehen und muss Grundpfeiler unserer Zukunftsvisionen sein. Nicht weil alles andere bloß „Gedöhns“ ist, sondern weil Wirtschaft das Zahnrad ist, an dem alle anderen Bereiche andocken und ohne das viele anderen Ziele nicht möglich sind. Wir müssen die positiven Effekte von Umverteilung auf Wirtschaftswachstum mehr herausstellen.Umverteilung wird von uns öffentlich bisher fast nur aus Gerechtigkeitsaspekten gefordert. Das ist zwar richtig, dennoch müssen wir den Menschen klarmachen, dass eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung auch für die gesamte Wirtschaft Vorteile bringt. Nur so können wir den Mythen der Trickle-Down Theorie oder auch der Austeritätspolitik erfolgreich entgegentreten.Außerdem brauchen wir eine neue Argumentationskette bei unserer Positionierung zu Wirtschafts­ wachstum. Wachstum bietet zwar theoretisch gute Chancen für die gesellschaftliche und politi­ sche Durchsetzung von Umverteilung, weil durch Wachstum die ökonomische Ungleichheit in der Gesellschaft verringert werden kann ohne Teilen der Bevölkerung etwas wegzunehmen. Die letz­ ten Jahrzehnte zeigen allerdings, dass trotz Wachstum zu wenig nach unten umverteilt wurde. Die Argumentation hat auch rein logisch einen kleinen Fehler: Solange wir nicht maßgeblich in einer progressiven Koalition an der Regierung beteiligt sind, können wir weder eine Vermögenssteuer einführen, noch den Spitzensteuersatz anheben, noch die Besteuerung von Kapitaleinkommen den Arbeitseinkommen angleichen und auch nicht die Erbschaftssteuer reformieren. Wenn wir eines Tages in der komfortablen Situation sind, das alles umsetzen zu können, wieso sollten wir dann auf Wachstum warten, um eine schleichende Umverteilung herbeizuführen? Die konservativen und neoliberalen Kräfte werden jedenfalls beides nicht tun.Für uns Jusos beruht nachhaltiges Wachstum auf einer gerechten Einkommensverteilung. Beide können nicht getrennt voneinander gedacht werden. Die zunehmende Ungleichheit der letzten Jahrzehnte hat sich in vielerlei Hinsicht als zerstörerisch herausgestellt und in die Krise geführt. Die oben beschriebenen Maßnahmen zeigen einen Weg für eine Wirtschaftspolitik, die sowohl zu mehr Gerechtigkeit als auch zu einem nachhaltigen Wachstum führt. Sie beruht darauf, dass einkom­ mensschwache Haushalte gestärkt werden und somit mehr Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe erhalten.